02.05.2003

Symposion „Spurensuche“

Anläßlich der Sonderausstellung „Stimmen vom Nil – Altägypten im Spiegel seiner Texte“ fand in München vom 2. bis 4. Mai unter dem Titel „Spurensuche“ ein gemeinsam vom Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst München und vom Institut für Ägyptologie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität veranstaltetes Symposion zur altägyptischen Literatur statt.

Als Referenten konnten dafür Frau Prof. Dr. Heike Behlmer (Göttingen/München), Frau Prof. Dr. Ursula Verhoeven (Mainz), Herr Prof. Dr. Hans-Werner Fischer-Elfert (Leipzig), Herr Prof. Dr. Gerald Moers (Göttingen), Herr Dr. Richard Parkinson (London) sowie Herr Prof. Dr. Heinz Josef Thissen (Köln) gewonnen werden, also sämtlich ausgewiesene Spezialisten auf dem Gebiet der altägyptischen Literatur.

Das Symposion wurde am Freitagabend im Staatlichen Museum für Völkerkunde – nach der Begrüßung durch dessen Direktor Dr. Claudius Müller und Frau Dr. Sylvia Schoske vom Münchner Ägyptischen Museum – mit einem Vortrag von Dr. Alfred Grimm über die Geschichte der Hieroglyphenentzifferung im Zeitraum von 1800 bis 1850 eröffnet: „Zimmer mit Aussicht oder Wir entziffern nicht mehr, wir lesen. Eine wissenschaftsgeschichtliche Collage zur Entzifferungsgeschichte der Hieroglyphen 1800-1850″.

Nach dem Eröffnungsvortrag hatten die etwa 100 Teilnehmer – neben Fachkollegen und Studenten aus dem Bereich der Ägyptologie und benachbarter Fächer waren auch die Mitglieder der Freundeskreise von Museum und Institut eingeladen – nicht nur ausgiebig Gelegenheit, sich bei einem leicht orientalisch angehauchten Buffet gegenseitig näher kennenzulernen, sondern auch die Sonderausstellung „Nahrung für die Seele. Welten des Islam“ in der neu eröffneten Islam-Abteilung des Völkerkundemuseums zu besuchen.

Der Samstag stand dann ganz im Zeichen der jeweils auf 45 Minuten angesetzten Einzelvorträge. Den Auftakt machte am Vormittag Gerald Moers mit seinem Referat „Der Spurensucher auf falscher Fährte. Überlegungen zu den Voraussetzungen einer ägyptologischen Literaturwissenschaft“, einem auf hohem theoretischen Niveau gehaltenen Plädoyer für die Interpretation bzw. Neubewertung literarischer Texte als literarischer Texte und nicht in erster Linie als (literar-)historischer Quellen, sowie in diesem Zusammenhang auch für eine strikte Trennung von altägyptischen „Literatur“-Werken und damit nicht automatisch zu verbindenden politischen Ereignissen.

Auf diese, dem Anspruch des Symposions gerecht werdende literaturwissenschaftliche Einstimmung in den weiten Themenkreis der Referate folgte Richard Parkinson mit seinem Vortrag: „Texts or Poems? The Reception of Middle Kingdom Literature“, in dem explizit am Beispiel der „Sinuhe“-Erzählung die soziale Funktion altägyptischer literarischer Texte herausgearbeitet und in diesem Zusammenhang die Rezeption dieses wohl bekanntesten Literaturwerkes aus dem Mittleren Reich minutiös rekonstruiert wurde: Vom performativen, also szenisch aufgeführten Text, zum vorgelesenen Literaturwerk hin zum didaktischen Unterrichtsstoff, also zur Kopiervorlage für angehende Schreiber, wobei Richard Parkinson aufgrund von Textunterschieden zeigen konnte, daß die Suche nach einem Urtext eine vergebliche sein muß, da jede Variante ihren eigenen, auf lokalen Traditionen basierenden Urtext darstellt.

Die soziale und politische, eventuell auch propagandistische Funktion altägyptischer Texte stand dann auch im Mittelpunkt des facettenreichen Referates „Literarische Ansichtskarten aus dem Alten Ägypten“ von Ursula Verhoeven, in dem unter Heranziehung von bislang in diesem Kontext weitgehend unbeachteten archäologischen Materials und bildlicher Darstellungen versucht wurde, anhand zweier Briefe und verwandter Texte deren „Sitz im Leben“ sowie deren Eingebundenheit in zum einen allgemein menschliche Belange und zum anderen aber auch in reale bzw. realpolitische Bedingungen zu bestimmen.

Dagegen konnte Hans-Werner Fischer-Elfert in seinem Vortrag „Ein Priester wird zum Landstreicher – warum? Die Irrfahrt des Wermai durch Ägypten und ihre mögliche literarische Genese (Pap. Pushkin 127)“ in einer Detailstudie ebenso überzeugend nachweisen, daß sich dieser bislang singuläre, ebenfalls in Form eines Briefes vorliegende Text eben nicht, wie bisher vermutet worden ist, einer realpolitischen Situation zuweisen läßt, sondern aus dem Bereich religiöser Sanktionen hervorgegangene Literatur darstellt.

In seinem durch zahlreiche Zitate lebendig strukturierten Vortrag „Die demotische Literatur als Medium der spätägyptischen Geisteshaltung“ gab Heinz Josef Thissen zunächst einen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick zur Einschätzung der demotischen Literatur, um dann anhand ausgewählter Beispiele, welche die Tiefendimension des präsentierten Materials erahnen ließen, die Abhängigkeit der demotisch geschriebenen Literatur von altägyptischen Traditionen und griechischen Vorläufern auf der einen sowie ihre literarische Eigenständigkeit auf der anderen Seite aufzuzeigen.

Nach der demotischen gewann dann aber auch die koptische Literatur an literarischem Profil. Im letzten Referat „Von Gattinnen, Müttern und wilden Weibern: Figurationen des Weiblichen in koptischen Heiligen- und Märtyrerlegenden“ plädierte Heike Behlmer mit klaren Argumenten nicht nur für eine Neubewertung der bisweilen stark unterschätzten koptischen Literatur, sondern konnte mit den „Figurationen des Weiblichen“ auch einen eminent wichtigen, bisher nicht beachteten Aspekt innerhalb dieser christlichen Ausprägung antik-ägyptischer Geisteshaltung aufzeigen.

Als „Chairwoman“ fungierte am Vormittag Frau Dr. Alexandra Verbovsek, Assistentin am Münchner Institut für Ägyptologie, am Nachmittag übernahm Herr Prof. Dr. Günter Burkard, Vorstand des Münchner Instituts für Ägyptologie, als „Chairman“ die Vorstellung der Referenten sowie die Diskussionsleitung. Ein Abendempfang im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst München gab dann allen Teilnehmern die Möglichkeit, entweder am Buffet oder vor Ort in der Sonderausstellung „Stimmen vom Nil – Altägypten im Spiegel seiner Texte“ die „Spurensuche“ fortzusetzen.

Den Abschluß des Symposions bildete eine von Günter Burkard souverän geleitete Podiumsdiskussion, die Dank der nicht nur vielfältigen, sondern auch überaus anregenden Beiträge aus dem Publikum zu einem spannenden, ja aufregenden Diskurs über die altägyptische Literatur in ihren unterschiedlichen Aspekten führte. So wurde der Vortragssaal im Münchner Haus der Kulturinstitute unversehens zu einem „Zimmer mit Aussicht“!

Aufgrund zahlreicher Anfragen wurde spontan die Publikation der Vorträge beschlossen, an der sich dankenswerterweise alle Referentinnen und Referenten mit ihren Beiträgen beteiligen werden; sie sollen noch im Laufe dieses Jahres in einer neuen Reihe – „Münchner Ägyptologische Symposions-Akten“ (MÄSA) – veröffentlicht werden.