30.11.2021

Schutz-Engel


Die nach rechts blickende weibliche Figur kniet mit untergeschlagenen Beinen und streckt beide Arme weit nach links und rechts aus. Direkt unter ihnen sind Flügel angesetzt, die in drei Reihen von Federn gegliedert und in ihrer Form typisch für Raubvögel sind. Das eng anliegende Gewand endet in einer Borte knapp unterhalb der Brust; die Haare liegen in einer großen Volute auf der Schulter.

Auch wenn weitere Attribute fehlen, ergibt sich bereits aus den geflügelten Armen die Identität der Dargestellten als Göttin. Die Volutenfrisur ist charakteristisch für die Himmelsgöttin Hathor, doch werden auch Isis und Nephthys häufig mit Flügelarmen dargestellt. In Gestalt von Falkenweibchen betrauern sie als göttliche Klagefrauen ihren Gemahl und Bruder Osiris. Doch auch Selket, Neith und Nut treten oft geflügelt auf, um nur einige weitere Göttinnen zu nennen. Anders formuliert: Die geflügelten Arme sind das Bild, um auf die Schutzfunktion weiblicher Gottheiten hinzuweisen. Dieses in Ägypten allgegenwärtige Motiv hat dann später eines der Vorbilder für die Darstellung von Engeln in der christlichen Ikonographie geliefert.

Die auf der Rückseite ungegliederte, flache Figur ist aus drei Teilen zusammengesetzt: Körper mit Kopf bilden das Mittelstück, die beiden Arme mit den Flügeln die äußeren Teile. Dreizehn Durchbohrungen entlang der Konturen ermöglichen den Rückschluss auf die unsprüngliche Verwendung als Mumienschmuck, der direkt auf die Binden genäht wurde. Zu diesem Ensemble gehören außerdem die vier Figuren der Horussöhne, die die Eingeweide des Verstorbenen beschützt haben, das „Isis-Blut“, ein Amulett in Knotenform sowie zwei Falkenköpfe, die als Verschlussteile einer mehrreihigen Kette auf den Schultern lagen.

In der Anordnung auf der Mumie bildet die geflügelte Göttin das unter der Brust liegende zentrale Motiv, das auch in der – gemalten – Dekoration der menschengestaltigen Särge üblich ist. Diese treten erstmals im ausgehenden Mittleren Reich auf, sie weisen dann in der Zweiten Zwischenzeit (ab ca. 1650 v. Chr.) eine namensgebende Dekoration mit Falkenfedern auf und werden nach dem arabischen Wort für „Feder“ als Rischi-Särge bezeichnet. Damit wird zum ersten Mal die Vorstellung einer geflügelten Gottheit, die den Verstorbenen mit ausgebreiteten Flügeln schützend umgibt, bildlich umgesetzt.

Fayence
Spätzeit, 26.-27. Dynastie, ca. 600-500 v.Chr.
München ÄS 7151
(Ausgestellt im Raum „Jenseitsglaube“)