01.06.2012

Objekt des Monats Juni ’12: Figur eines Lesenden

Die kleine Figur zeigt einen im Schneidersitz am Boden hockenden Mann.

Er hält mit beiden Händen eine Schriftrolle fest, die er auf seinem Schoß ausgebreitet hat. Er trägt eine Kurzhaarfrisur und einen über die Knie gezogenen weißen Schurz, sein Oberkörper ist nackt. Es ist ein Lesender, der eine Variante der Schreiberfigur darstellt, die dieselbe Haltung zeigt bis auf das Detail der rechten Hand, die stattdessen eine Binse, das Schreibgerät der Ägypter, hält.

Mit der Figur des Schreibers oder eines Lesenden verbindet der Ägypter einen weisen Mann, der seine Lebenserfahrung auf der Papyrusrolle festhält. Die meist füllige Brust deutet ein fortgeschrittenes Alter an, wie es für einen weisen Mann Voraussetzung ist. Darüber hinaus ist die Schreiberfigur, ein seit dem frühen Alten Reich bekannter Statuentyp, die Darstellung eines hohen sozialen und beruflichen Ranges. Sie kennzeichnet den Schriftkundigen, der die Spitzenpositionen der staatlichen Verwaltung innehat. So sind es die höchsten Beamten wie der Vezir, die sich im Typus der Schreiberstatue darstellen lassen, um auf ihr Wissen und ihre (Lebens-)Erfahrung hinzuweisen – vergleichbar dem Politiker heutzutage, der sich zum Interview am Schreibtisch vor einer gefüllten Bücherwand ablichten lässt.

Die Pflichterfüllung und Loyalität des Beamten, wie sie in den Lebenslehren beschrieben und gefordert wird, wird also im Bereich der bildenden Kunst von der Statue des Schreibers – oder eines Lesenden – ausgedrückt. Trotz des kleinen Formats ist auch in dieser Figur eine füllige Brust als Altersmerkmal angedeutet.