13.07.2022

Herrin der Zeit

Bronzestatue der stehenden Göttin Nehemet-awai© SMÄK, Marianne Franke

Ägyptische Gottheiten lassen sich häufig über ihre Krone bzw. ihren Kopfputz identifizieren – oft die einzige Möglichkeit, da gerade bei den Bronzefiguren meist keine inschriftliche Benennung (mehr) vorhanden ist. Die Göttin steht in Schrittstellung auf einem längsrechteckigen Sockel, ihr Kopf ist leicht nach links in die Bewegungsrichtung gedreht. Der rechte Arm ist seitlich am Körper ausgestreckt, der linke waagerecht nach vorn gestreckt. Beide Hände sind zur Faust geballt und hielten ursprünglich ein Szepter. Sie ist in ein enganliegendes, oberhalb der Knöchel endendes Gewand gekleidet. Um den Hals liegt ein mehrreihiges Collier.

Über der Strähnenperücke trägt sie die Geierhaube mit Uräusschlange vor der Stirn, die auch zum Ornat der ägyptischen Königin gehört. Darüber erhebt sich der großformatige Aufbau ihres Emblems. Als Untersatz dient der Kalathos, ein Kranz aus mehreren, hier stark stilisierten Uräusschlangen. Dann folgt ein Korb in Form der neb-Hieroglyphe, wohl als verkürzte Schreibung der Benennung als „Herrin“, der wiederum den oberen Teil eines Naos-Sistrums trägt: Die schlanke, hohe Fassade einer Kapelle wird von einer Hohlkehle bekrönt und von zwei Spiralen flankiert; die niedrige Türöffnung füllt eine Uräusschlange mit Sonnenscheibe aus. Die Rückseite des flach gearbeiteten Kopfputzes ist glatt belassen.

Diese Krone ist charakteristisch für Nehemt-awai, der Partnerin des Weisheitsgottes Thoth. In dieser Verbindung wird sie zur Herrin der Zeit. Ihr Name bedeutet „Die sich der Beraubten annimmt“, wodurch sie auch als Schutzmacht für das Recht gilt. Ihre Bezeichnung als Göttin, „die inmitten von Hermopolis wohnt“, verweist auf die Stadt in Mittelägypten, in der in der Spätzeit das einzige ihr geweihte Heiligtum errichtet wurde. Hier bildete sie zunächst ein Paar mit dem Gott Schepsi, einem lokalen Sonnen- und Mondgott, der später dann zum jugendlichen Gott der Götterfamilie von Hermopolis wurde, zur Triade gebildet von Thoth, Schepsi und Nehemet-awai.

Bronze
H. 18,2 cm, Br. 4,0 cm, T. 4,7 cm
Spätzeit, 26. Dynastie, um 600 v. Chr.
München ÄS 2005
(Ausgestellt im Raum „Religion“)