08.08.2024

Familienausflug

Ein Relief des Alten Reiches

Ein annähernd quadratischer heller Stein mit verschiedenen Bildfeldern in erhabenem Relief. In der oberen Hälfte ein quadratisches Bildfeld mit einem stehenden Ehepaar links, 5 vor ihnen stehende Kinder rechts. Eine Hieroglypheninschrift in der oberen rechten Ecke. Die untere Hälfte des Steins besteht aus zwei längs-rechteckigen Bildfeldern. Im oberen Bildfeld links eine Barke mit 5 Ruderern, zwei sitzenden Erwachsenen, die sich anschauen und rechts auf dem Ende des Schiffes ein stehendes Kind mit Blütenkranz im Haar und erhobenen rmen. Rechts 5 Männer, die mit einem Strick die Barke ziehen. Über Schiff und Männern stehen Hieroglyphen. Im unteren Bildfeld rechts und links zwei entgeengesetzte Szenen mit je 3 stehenden Diener*innen und zwei teigknetenden Frauen. In der Mitte ein rechteckiges Feld mit 3 großen Hieroglyphen.

Boote und Schiffe sind unabdingbarer Bestandteil des Lebens im alten Ägypten: In einem Land, dessen einzige Verkehrsader ein Fluss – der Nil – ist, in dem es außerhalb der Städte und Dörfer keine Straßen gibt, sind sie das einzige Verkehrsmittel, um größere Entfernungen zu überwinden und schwerere Lasten zu transportieren. Ihr Besitz ist ein Statussymbol und war auch für den Herrscher von größter Bedeutung zur Erhaltung und Ausweitung seines Herrschaftsgebietes, für den Transport von Truppen und Tributen sowie für den Handel.
Seit der Vorgeschichte, dem späten vierten Jahrtausend v. Chr., finden sich Darstellungen von Schiffen und Booten verschiedenster Art, in Gräbern, in Tempeln, auf Gegenständen des Alltags, vom Staatsschiff des Pharao über den Lastkahn bis zum einfachen Papyrusboot in Privatbesitz.

Ein solches ist auf dem Relief zu sehen, das vom Grab eines Mannes namens Meni aus Gizeh stammt. Er hockt auf dem hinteren Teil des Bootes, ihm gegenüber kniet seine Ehefrau, die an einer Lotosblüte schnuppert. Hinter ihm stehen zwei Steuermänner an den langen Steuerrudern, in der Mitte des Bootes knien drei Ruderer mit Stechpaddeln, und vorne im Boot steht, quasi als Lotse, ein junger Mann mit einem Blütendiadem, dessen Schreibkundigkeit extra in seiner Namensbeischrift über dem Kopf erwähnt wird.

Detail der Scheintür des Meni: Ein längs-rechteckiger heller Stein mit einem Bildfeld in erhabenem Relief. Links eine Barke mit 5 Ruderern, zwei sitzenden Erwachsenen, die sich anschauen und rechts auf dem Ende des Schiffes ein stehendes Kind mit Blütenkranz im Haar und erhobenen rmen. Rechts 5 Männer, die mit einem Strick die Barke ziehen. Über Schiff und Männern stehen Hieroglyphen.© SMÄK, Foto: R. Hessing

Das Wasser des Flusses wird durch eine Zickzacklinie unter dem Boot wiedergegeben, rechts davon verläuft der Uferstreifen, auf dem fünf Männer eiligen Schritts laufen und gemeinsam das Boot an einem dicken Strick ziehen – sie treideln es. Die Namensbeischriften über allen Personen machen es wahrscheinlich, dass die Bootsmannschaft von Söhnen des Ehepaares gebildet wird, einfache Bootsleute hätte man nicht namentlich gekennzeichnet.

Ein Familienausflug in Grüne – denn nicht dargestellt, aber zu ergänzen ist das mehrere Meter hohe Papyrusdickicht entlang des Nils, ein Symbol der Fruchtbarkeit mit all seinen Fischen, Vögeln und kleinen Säugetieren, gelegentlich auch mit dem gefräßigen Krokodil und dem wuchtigen Nilpferd, die einem solchen wackeligen Boot durchaus gefährlich werden konnten.

Hier scheint nichts die Idylle zu trüben – und dennoch besitzt diese Szene, wie so häufig bei ägyptischen Darstellungen, noch eine andere Bedeutung. Den Hinweis darauf liefern die Vorratsgefäße und Schüsseln mit aufgehäuftem Inhalt, die über dem Bug des Bootes in zwei Registern übereinander wiedergegeben sind. Es handelt sich um die extrem verkürzte Wiedergabe von Opfergaben für die Verstorbenen, deren Darstellung in anderen Gräbern ganze Wände füllen kann. Dargestellt ist also die rituelle Fahrt des Verstorbenen im Kreis seiner Familie in die Jenseitsgefilde, in das ewige Leben. Und weil das Ziel der Fahrt eben diese Gefilde der Seligen bildet, wird der eigentlich traurige Anlass umgedeutet zu einem fröhlichen Familienausflug, wie man ihn im Alltagsleben sicherlich häufig unternommen hatte.

Das Relief des Meni stammt von einer seiner beiden Scheintüren, die an der östlichen Außenwand seines Grabes, einer aus Ziegeln errichteten Mastaba, eingelassen waren.
Die Scheintür – besser: Modelltür – markiert den Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Nur die mit Darstellungen versehenen Teile der Scheintür bestehen aus Kalkstein; die Nischen darunter waren in der Grabfassade aus Lehmziegeln aufgemauert und verputzt. Das Grab des Meni hatte offensichtlich keine Kultkammer mit Reliefs oder Malereien an an Wänden. Die Darstellungen waren daher komprimiert auf die wichtigsten Themen und konzentriert auf die steinernen Teile der Scheintür, wie dies im späten Alten Reich häufig zu finden ist.

Kalkstein
Gizeh, Westfriedhof, Mastaba S2530/2531
H. 27,5 cm, Br. 70,2 cm, T. 9,5 cm
Altes Reich, 6. Dynastie, um 2200 v. Chr.
München Gl. 24b
Aus der Sammlung Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing
(Ausgestellt im Raum „Jenseitsglaube“)