05.12.2023

Zum Licht

Spitzmaus und Ichneumon – Tiere des Sonnengottes

Bronzestatuen von einer Spitzmaus und einem Ichneumon. Darunter steht "Objekt(e) des Monats"© SMÄK

Die ägyptischen Gottheiten in Tiergestalt sind eine Schöpfung der Kunst und verweisen auf deren wichtigste Aufgabe, dem Menschen eine Vorstellung des Göttlichen zu geben – im Gegensatz zum Bildnisverbot im Alten Testament, das später von den monotheistischen Religionen des Christentums und des Islams aufgegriffen wurde. Daher wäre es ein Missverständnis, aus den Darstellungen tiergestaltiger Gottheiten zu schließen, die Ägypter hätten Tiere „angebetet“, vielmehr verkörpern Tiere bestimmte Wesenszüge und Eigenschaften der Götter. Meist lassen sich diese Erscheinungsformen – altägyptisch Chau – leicht nachvollziehen: der Löwe für das aggressive Wesen einer kriegerischen Gottheit, der Stier und der Widder für die – männliche – Fruchtbarkeit, die Kuh für die Mutterschaft oder der Falke für eine Himmelsgottheit. Je umfassender, mächtiger eine Gottheit, desto vielfältiger ihre Erscheinungsformen, so dass sich manche in mehreren verschiedenen Tieren manifestieren kann. Umgekehrt ist ein Tier nicht unbedingt als Verkörperung nur einer Gottheit zu verstehen: So können zum Beispiel die Göttinnen Mut, Sachmet, Uto, Wadjet und Tefnut mit dem Kopf eines männlichen (Mähne!) Löwen dargestellt werden, Amun und Chnum mit dem eines Widders.

Bei den genannten Beispielen lassen sich die verschiedenen Tiere als Verkörperung bestimmter Eigenschaften der Götter einfach nachvollziehen – doch wie erklären sich die beiden kleinen Säugetiere Spitzmaus und Ichneumon als Darstellungsformen des Göttlichen?

Anders als ihr Name sagt, ist die Spitzmaus keine richtige Maus, also kein Nagetier, sondern ein Insektenfresser. Von einer richtigen Maus unterscheidet sie sich durch eine spitze, lange Nase. Ihr Körper ist etwa 10-12 Zentimeter (ohne Schwanz) lang. Weltweit gibt es über 350 Arten von Spitzmäusen. Den entscheidenden Hinweis liefert die Dekoration auf dem Rücken dieser kleinen Figur einer männlichen Spitzmaus, die mit gerade ausgestrecktem Schwanz auf einem längsrechteckigen Untersatz steht: Dort sind drei querliegende geflügelte Sonnenscheiben zu erkennen, die als Hinweis auf den Sonnengott zu verstehen sind. Genauer gesagt ist die nach ägyptischer Auffassung blinde Spitzmaus ein schlüssiges Bild der nächtlichen Sonne, die die Unterwelt durchzieht. Unter der Erde lebend, gehört sie dieser Sphäre der Regeneration des Lichtes an.

Ihr ist das Ichneumon als Entsprechung für den Tag zugeordnet. In aufgerichteter Haltung mit erhobenen Vorderpfoten, die an den menschlichen Betgestus erinnern, wird das Ichneumon in zahlreichen Bronzefiguren in Verehrung der Sonne dargestellt. Beide Tiere bilden ein Götterpaar, das die beiden Hälften des Sonnenkreislaufs, den Tag und die Nacht, repräsentiert. Die Spitzmaus, die zum Teil unter der Erde lebt und schlecht sieht, steht für die Nachtsonne. Das Ichneumon, ein flinkes Kleinraubtier, verkörpert die Tagsonne. 

Der Sonnengott als besonders mächtige Gottheit kann sich in vielen verschiedenen (Tier-)Gestalten manifestieren. Eine seiner Sonderformen, Chentj-irtj, nimmt Bezug auf die beiden Phasen der Sonne, die Tagsonne und die Nachtsonne, die mit seinen beiden Augen gleichgesetzt werden. Die Spitzmaus wird in Letopolis im Nildelta und anderen Orten Unterägyptens als „heiliges Tier“ des Sonnengottes verehrt, das Ichneumon vor allem in Heliopolis, der Sonnenstadt.

Die kleinen Kästchen, auf denen die Tiere stehen, sind hohl und dienten als Särge für mumifizierte Exemplare der jeweiligen Tierarten. Derartige Ensembles wurden auch aus Holz gefertigt, sie wurden auf eigenen Tierfriedhöfen beigesetzt.

Bronze
H 7,8 cm, B 19,8 cm, T 4,8 cm | H 15,1 cm, B 6,1 cm, T 11,5 cm
Spätzeit, ca. 700-400 v. Chr.
ÄS 7101 (Spitzmaus) | ÄS 7225 (Ichneumon)
(Ausgestellt im Raum „Religion“)