04.06.2025

Programmatisch

Eine Gründungsbeigabe

Eine tiefgrüne Kartusche aus Fayence mit Hieroglyphen beschriftet© SMÄK, Foto: M. Franke

Die flache Plakette zeigt die Form einer Kartusche, den Königsring, der seit der ausgehenden Vorgeschichte einen der Namen der insgesamt fünfteiligen Titulatur Pharaos umschloss. Sie diente ursprünglich als Gründungsbeigabe. Im Verlauf von Gründungszeremonien für Tempel und andere Bauwerke, die seit dieser Zeit auch bildlich belegt sind – und damit zu den ältesten Darstellungen von Ritualen überhaupt gehören -, wurden verschiedenste Gegenstände als Grundsteinbeigaben in Gruben gelegt, die sich häufig unter den vier Ecken des zukünftigen Gebäudes befinden; auch unterhalb von Mauern wurden Gründungsgruben gefunden.

Sie enthielten Naturalopfer von Tieren (Rinder, Geflügel) und verschiedenen Pflanzen, dazu Getreide und Mehl, Brote und Kuchen, Honig und Wein, Früchte und Gewürze. Außerdem finden sich Produkte, die beim Vollzug der Rituale der Gründungszeremonie benötigt wurden: Weihrauch, Salben und Öle, Natron und Augenschminke. Auch wurden Proben der für den Bau und seine Ausstattung verwendeten Materialien in die Gruben gelegt, von verschiedensten Gesteinen und Farbpigmenten, dazu Halbedelsteine, Kupferbarren, Edelmetalle sowie Fayence und Glas. Diese lagen in Körben und in Gefäßen aus Stein oder Ton, oft in einer Miniaturversion, verschiedenste Werkzeuge wie Hacken und Äxte, Stichel, Dächsel und Sägen, gleichfalls häufig en miniature, ebenso Waffen wie Beil, Axt oder Krummschwert.

Originale Steinblöcke sind selten, häufiger finden sich Ziegel mit dem aufgestempelten Namen des königlichen Bauherrn sowie Plaketten aus Fayence, ebenfalls mit dem Königsnamen. Im Mittleren und Neuen Reich sind sie einseitig, seit der Dritten Zwischenzeit beidseitig beschriftet. Eine Variante dieser rechteckigen Plaketten ist die Kartusche.

In diese ringartigen Umrahmungen wurden die beiden letzten Namen der insgesamt fünfteiligen Titulatur des ägyptischen Königs geschrieben, an denen man demzufolge die Namen von Königen und Königinnen erkennen kann – sie spielten daher eine entscheidende Rolle bei der Entzifferung der Hieroglyphen im Jahr 1822 durch Jean-Franҫois Champollion. Von der späten Vorgeschichte bis in die römische Zeit führten die Herrscher Ägyptens über mehr als drei Jahrtausende diese Titulatur, deren vollständige Form sich seit dem Mittleren Reich (ab 2000 v. Chr.) aus fünf einzelnen Namen sowie den dazugehörigen Titeln in einer festgelegten Reihenfolge zusammensetzt.  

Nur in einer kurzen Epoche der ägyptischen Geschichte, in der 17-jährigen Regierungszeit Amenophis‘ IV., der sich von der Vielfalt der Götter abwandte und die erste monotheistische Religion überhaupt begründete, dienten die Kartuschen noch einem anderen Zweck: In sie wurde auch der „lehrhafte“ Name des neuen Gottes, Aton, die lebensspendende Sonnenscheibe, geschrieben und, im Gegensatz zum Königsnamen, mit einem doppelten Rand eingefasst. „Anch Ra-Hor-achtj chai-m-achet“ lautet der Name, den Echnaton, der sich programmatisch ebenfalls einen neuen Namen gegeben hat, seinem einzigen Gott, „Es lebe Re-Harachte, der jubelt im Horizont“.

Der Name des Sonnengottes ist hier noch in der traditionellen Weise als Re-Harachte mit dem Falken geschrieben, es handelt sich um den ersten, den älteren Namen des Aton. Im 8. Jahr seiner Regierungszeit ändert Echnaton diesen Namen, aus Re-Harachte wird Aton, die Darstellung des Falken in der Schreibung des Götternamens entfällt. Dies läuft parallel zur Namensänderung des Königs selbst, der aus seinem ursprünglichen Namen den Gott Amun streicht und durch Aton ersetzt. Dies erfolgt nicht nur bei seinem eigenen Namen: Überall wird der Name Amun getilgt, in Tempelinschriften, auf Obelisken und Statuen – wo immer er zugänglich ist.

Der neue Gott ist ganz auf den König zugeschnitten, nicht nur im Hinblick auf die Schreibung des Namens in Kartuschen, wie der Herrscher feiert nun auch der Gott Sed-Feste, also das königliche Jubiläumsfest, das der Erneuerung der physischen Kräfte Pharaos diesen sollte. Und er war völlig abhängig von seinem Schöpfer, denn er verfügte nicht mehr über Priesterschaften im ganzen Land, es gab nur noch einen einzigen Priester – König Echnaton selbst. Der dafür, gewissermaßen als kleine Kompensation, in den Darstellungen der Huldigung, bei Gebeten und beim Darbringen von Opfergaben, vielfach auf den Tempel- und Grabwänden von seiner Familie begleitet wird, von seiner Gemahlin Nofretete und der wachsenden Zahl seiner Töchter.

Erhielt der König bei seiner Thronbesteigung Namen und Titulatur, die ein politisches und religiöses Programm widerspiegeln, bekam der neue Gott Aton bei seiner Schöpfung einen Namen, der ein theologisches Konzept proklamiert. In der Neuzeit ist dieses Prinzip von den Päpsten aufgegriffen worden, die seit der Spätantike zusätzlich zu ihrem Taufnamen einen neuen Namen wählen, um sich damit, ebenfalls programmatisch, an einen Heiligen oder an einen ihrer Vorgänger anzuschließen. Der neue Papst nennt sich Leo XIV. und beruft sich dabei auf Leo XIII., der 1891 in seiner Enzyklia Rerum Novarum die soziale Frage in den Mittelpunkt der katholischen Lehre stellte.

Fayence
H. 5,5 cm, Br. 2,4 cm, T. 0,4 cm
Amarna
Neues Reich, 18. Dynastie, um 1350 v. Chr.
Inv. Nr. ÄS 2334
Vermutlich aus der Sammlung Freiherr von Bissing
(ausgestellt im Raum „Kunst-Handwerk“)