05.03.2024

Frühlingsboten

Ein Relief aus der Amarna-Zeit

Ein Sandsteinrelief mit verschiedenen Blumendarstellungen in versenktem Relief.© SMÄK

Pflanzen, vor allem Blumen, werden in unserem Kulturkreis häufig mit bestimmten Jahreszeiten und ihren Festen in Verbindung gebracht und auch nach ihnen benannt: Osterglocken, Pfingstrosen, Herbstzeitlose oder Weihnachtssterne, Ähnliches gilt auch für Tiere. Das war im alten Ägypten nicht anders, wo Darstellungen der Natur zur Kennzeichnung der verschiedenen Jahreszeiten eingesetzt wurden.

Zwei Arten von Blumen sind auf diesem Block in versenktem Relief klar zu erkennen: Die großen, annähernd dreieckigen Blüten in heute rötlich-brauner Färbung gehören dem Klatschmohn, die schmalen, gezackten Blütenblätter auf einem großen Fruchtknoten zu Kornblumen, deren ursprünglich blaue Farbe heute zu einem grau-violetten Farbton verblasst ist. Möglicherweise ist am oberen rechten Bildrand noch eine weitere Pflanze zu erkennen, nämlich der untere Teil einer ursprünglich dreiblättrigen Pflanze auf blattlosem Stiel, wohl als Klee zu deuten. Klatschmohn, Kornblumen und Klee treten auch in der Natur gemeinsam auf, so dass hier der Ausschnitt einer großformatigen Blütenwiese vorliegt.

In religiösem Kontext werden bildliche und textliche Schilderungen der Natur zu Lob und Preis göttlichen Wirkens, vor allem des Sonnengottes, eingesetzt. Dies finden sich erstmals in dem großen Komplex der Jahreszeitenreliefs im Sonnenheiligtum des Königs Niuserre (um 2390 v. Chr.) im Alten Reich. Dort ist ein Raum mit Darstellungen der Natur dekoriert, die das Wirken des Sonnengottes am Beispiel von zwei der drei Jahreszeiten des ägyptischen Jahres zeigen: achet = Frühling und schemu = Herbst. Dabei werden Motive gewählt, die das Zyklische der Natur und damit den Kreislauf des Lebens schildern: Zugvögel und Fische, die zum Laichen in den Nil kommen, die Begattung weiblicher Tiere und die Geburt der Jungtiere.

Im Neuen Reich nimmt dann die Thematik der Naturdarstellung  in der Amarna-Zeit, der Epoche des Echnaton und der Nofretete, eine besondere Stellung ein: Sie findet sich nicht nur im Bereich der Kleinkunst und in der Dekoration von Privatgräbern, wo sie in anderen Epochen überwiegend zu finden ist, sondern spielt vor allem im Bildprogramm der Tempel und der Ausschmückung des königlichen Palastes eine wichtige Rolle. Die Schilderung der Natur wird zu einer offiziellen, religiös orientierten Aussage: Die Naturdarstellungen zeigen das Wirken des von König Echnaton zum einzigen Gott erhobenen Sonnengottes, sie sind in das Medium der Flachbildkunst umgesetzte Hymnen an die lebensspendende Sonnenscheibe Aton.

Alle lebenden Pflanzen
die auf dem Erdboden wachsen,
gedeihen bei deinem Aufgang;
sie sind trunken von deinem Angesicht

(Aus dem „Kleinen Sonnenhymnus“, Übersetzung nach Jan Assmann)

Dies erinnert unmittelbar an eines der bekanntesten Kirchenlieder von Paul Gerhardt (1607–1676). Darin fordert er dazu auf, in die Natur zu gehen (was damals eher ungewöhnlich war), und sieht in der Natur ebenfalls Gottes Gaben:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.

Paul Gerhardt (1607–1676)

Kalkstein, bemalt
H. 23 cm, B. 44 cm
Amarna, gefunden in Hermopolis
Neues Reich, 18. Dynastie, um 1340 v. Chr.
Inv. Nr. ÄS 6930
(ausgestellt im Raum „Kunst und Zeit“)

Dem Andenken von Jan Assmann (1938 – 2024) gewidmet