10.10.2024
Erntedank
Eine Traube aus Fayence
In vielen Religionen wird ein Erntedankfest gefeiert, die christliche Kirche begeht es seit dem dritten Jahrhundert. Ursprünglich zur Tag- und Nachtgleiche gefeiert, hat sich die katholische Kirche auf den ersten Sonntag im Oktober festgelegt, die evangelische auf den Sonntag nach Michaelis (29. September). In Amerika wird Thanksgiving am 4. Donnerstag im November begangen und ist ein staatlicher Feiertag.
Der altägyptische Kalender, der in drei Jahreszeiten zu je vier Monaten unterteilt ist, kennt den Frühling, die Zeit der Überschwemmung (Achet), das Herauskommen der Saat (Peret) und den Herbst (Schemu) mit der Ernte. Das Opfer der ersten Früchte wird direkt auf dem Feld dargebracht, der Dank richtet sich an die schlangengestaltige Erntegöttin Renenutet. Der oft fälschlich als „Totengott“ bezeichnete Jenseitsherrscher Osiris ist ursprünglich ebenfalls eine Ernte- und Vegetationsgottheit, dem die Erfindung landwirtschaftlicher Techniken zugeschrieben wird und der den Anbau von Wein in Ägypten eingeführt haben soll.
Dieser ist ursprünglich nicht ägyptisch, vielmehr wurde die Weinrebe Vitis vinifera L. in spätvorgeschichtlicher Zeit (später 4. Jahrtausend v. Chr.) aus dem syro-palästinischen Raum in bereits kultivierter Form eingeführt. Anbaugebiete für Wein lagen vor allem im Delta und in den Oasen, aber auch in der Nähe von großen Städten wie Theben und Amarna sind Weingüter belegt.
Bereits in den Pyramidentexten wird Osiris als „Herr des Weines“ bezeichnet, Weinranken oder Trauben finden sich daher häufig in seinem Kontext dargestellt. Aufgrund seiner Verbindung zu Osiris galt der Weinstock als Garant für die Auferstehung nach dem Tod und für das ewige Leben. Daher war Wein bei der Zeremonie der Mundöffnung im Verlauf der Begräbnisfeierlichkeiten ein wichtiger Bestandteil bei der rituellen Wiederbelebung der Mumie.
Ansonsten war der Wein kein alltägliches Getränk wie das Bier. Er wurde bei den Festen der Oberschicht gereicht, wo er in Amphoren bereitgestellt und aus kleineren Kannen in flache Trinkschalen ausgeschenkt wurde. Regelmäßige Weinlieferungen aus Staats- und Tempelgütern sind für Priester und Offiziere belegt. Außerdem war der Wein unverzichtbarer Bestandteil der Opfer an die Götter und fehlt auf kaum einem Opfertisch.
Weist der Wein und seine Verfügbarkeit also schon im Alltagsleben auf einen höheren Status hin, stehen Trauben im Umfeld von Darstellungen des Königs für Wohlergehen, Glück und Gesundheit. Der königliche Kiosk ist daher oft mit einer Reihe von Trauben geschmückt, die vom Baldachin herunterhängen, unter dem der Herrscher thront. In diesem bildlichen Kontext konnten die Reliefs im Tempel – oder im Tempelpalast – mit rundplastischen Darstellungen von Trauben aus blauer oder türkisfarbener Fayence kombiniert werden, die mit Hilfe von Ösen mit den Steinmauern verbunden wurden.
Diese aufwändige Technik hat ihren Schwerpunkt im Neuen Reich von der 18. bis zur 20. Dynastie (Amenophis II. bis Ramses III., ca. 1420-1160 v. Chr.). Sie findet sich besonders häufig in Amarna und ist neben ihrem Auftreten in Tempeln auch in Palästen bzw. Tempelpalästen belegt etwa in Malkata, Gurob, Qantir, Memphis und Medinet Habu. Die Fayencetrauben zeigen einen sehr regelmäßigen Aufbau mit geschlossener Umrisslinie, der die Einzelfrüchte lediglich in einer mehr oder weniger schematischen Innenmodellierung wiedergibt. Sie wurden in Tonmodeln geformt und dann aus zwei identischen Teilen (in der Längsachse) zusammengefügt, wobei eine Öse aus Metall zur Befestigung integriert wurde – so konnte in verhältnismäßig kurzer Zeit eine größere Anzahl nahezu identischer Trauben gefertigt werden.
Neben dieser stilisierten Form von Trauben gibt es jedoch noch einen zweiten, deutlich selteneren Typ, zu dem das Münchner Exemplar gehört. Hier sind die einzelnen kleinen Trauben nahezu rundplastisch ausgeformt, die Umrisslinie wird aufgelöst, und jede Frucht ist mit einem kurzen Stiel an einem dickeren Hauptstiel befestigt – eine deutlich realistischere Wiedergabe des Naturvorbilds.
Anderer Typ – andere Funktion? Die naturalistische Version wurde in Einzelfällen – auch in den Materialien Glas und Ägyptisch Blau – bei der Formung von kleinen, kostbaren Gefäßen verwendet. Darüber hinaus sind in der Objektgruppe der Grundsteinbeigaben – neben Naturalien – auch verschiedene Tiere und Früchte belegt, Trauben sowohl in der stilisierten als auch in der realistischen Ausformung. Ohne genaue Kenntnis der Fundsituation, die hier leider nicht vorliegt, ist jedoch keine endgültige Aussage zur ursprünglichen Funktion – Architekturschmuck, Gefäß oder Grundsteinbeigabe – möglich, auch wenn einiges für letztere spricht.
Fayence
H. 3,6 cm, Br. 2,9 cm
Neues Reich, 18. Dynastie, 1450-1300 v. Chr.
Inv.Nr. ÄS 5758
Aus der Sammlung Bissing F 630
(ausgestellt im Raum „Kunst-Handwerk“)