01.08.2002
Eine kleine Sensation – Wiedervereinigung altägyptisch
Manche Museumsleute warten ihr ganzes Leben vergebens auf den Glücksfall, der nun im Ägyptischen Museum München gefeiert werden konnte:
Büste (Altbestand des Museums) und Unterteil (Neuerwerbung durch den Freundeskreis des Museums) werden von der Museumsdirektorin Sylvia Schoske und Alfred Grimm zusammengefügt. Wenn man ganz genau hinhörte, konnte man ein leises „Klick“ hören, das charakteristische Geräusch, wenn Bruchfläche und Bruchfläche nahtlos aneinanderpassen. Ein aufregendes, ein unvergleichliches Geräusch für einen Archäologen….
Denn manche Museumsleute warten ihr ganzes Leben vergebens auf den Glücksfall, der nun im Ägyptischen Museum München gefeiert werden konnte: die Ergänzung und Vervollständigung eines Fragments in eigenen Beständen zu einem kompletten Ganzen.
Seit Mitte der 60-er Jahre befand sich unter den Beständen des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst München das Oberteil einer kleinen Statue aus Granodiorit – ein eher unscheinbares Bildnis eines Mannes, knapp 20 cm groß, mit einer auf die Schultern fallenden Strähnenperücke. Aufgrund stilistischer Merkmale war eine Zuweisung in die zweite Hälfte der 12. Dynastie möglich, also in die Epoche des Mittleren Reiches, des „Goldenen Zeitalters“ im alten Ägypten. Weitere Aussagen, etwa über die Identität des Dargestellten oder den Statuentyp, waren nicht möglich; im Sammlungskatalog von 1972 wird die Ergänzung zu einem im Schneidersitz hockenden Lesenden vorgeschlagen. Hinweise auf die Herkunft des Stückes waren nicht bekannt.
Im Frühjahr 2001 ereignete sich dann der nie erwartete, nicht einmal insgeheim zu erhoffende Glücksfall: Aus französischem Privatbesitz wurde dem Museum das Unterteil einer Sitzfigur angeboten mit dem Hinweis, es könnte zu der Münchner Büste passen! Es folgten einige aufgeregte Telefonate, dann trafen aus Paris Photos samt einer Abformung der Bruchfläche ein – und alle Zweifel waren sofort ausgeräumt: Es war das Unterteil zur Münchner Büste!
Das Aufregende: Es handelt sich nun nicht, wie früher vermutet, um einen Lesenden, sondern um eine Sitzfigur.
Das Sensationelle: Die Seitenflächen des Sitzes sind beschriftet und geben nicht nur den Namen des Dargestellten an – er trug den poetischen Namen „Lotosblume, Sohn der Hathor“, sondern liefern mit der Nennung des Königsnamens von Sesostris II. auch eine exakte Datierung in die Zeit zwischen 1880-1900 v.Chr. Damit nicht genug wird auch die antike Herkunft des Stückes erwähnt, das aus einem Ort namens Rawati (modern Ezbet Ruschdi) stammte. Dieser Ort im östlichen Nildelta liegt unweit der Hyksos-Residenz Auaris, dort stand ein kleiner Tempel, dessen Bauherr der schon erwähnte Sesostris II. war.
In diesem Heiligtum stand nun die Statue des Herrn Lotosblume, die nach der Inschrift eben keine Grabstatue war, sondern eine für ihre Zeit noch sehr seltene Mittlerfigur. Das bedeutet, dass sie öffentlich zugänglich im Tempel aufgestellt war und die Gebete und Wünsche der Bittsteller an die Götter weiterleiten sollte. Dies wiederum lässt auf einen hohen gesellschaftlichen Rang des Dargestellten, des Herrn Lotosblume, rückschließen.
Aus der unscheinbaren kleinen Büste ist eine stattliche Figur von über einem halben Meter Höhe geworden, die durch ihre eindeutige Datierung künftig einen Fixpunkt innerhalb der Kunst des Mittleren Reiches darstellen wird. Nahezu perfekt erhalten, von hoher handwerklicher Qualität, liefert sie darüber hinaus exakte Daten zur Biographie des Dargestellten – ein überaus seltener Glücksfall. Die international hochrangige Abteilung „Mittleres Reich“ des Ägyptischen Museums München hat einen spektakulären Neuzugang erhalten – ermöglicht durch den Freundeskreis des Museums, der die rasche Erwerbung des Statuenunterteils ermöglicht hat.