02.11.2022

Der Fluch des Meni

Ausschnitt der Fluchformel auf der Scheintür© SMÄK, Marianne Franke

„Der Hausälteste Meni, er sagt:
Das Krokodil gegen den im Wasser,
die Schlange gegen den auf der Erde,
der etwas gegen diese (Grab) tut.
Niemals habe ich etwas gegen ihn getan.
Gott ist es, der richten wird.“

Bei diesem Text handelt es sich um eine stereotype Formel, die mehrfach in Gräbern von Beamten des Alten Reiches zu finden ist. Sie richtet sich allgemein gegen Grabschänder und -räuber und war jeweils im Außen- oder Eingangsbereich angebracht. Vergleichbare Texte aus dem königlichen Bereich, von Pyramiden oder später Felsgräbern im Tal der Könige sind nicht bekannt.

Damit sind alle Berichte über einen angeblichen „Fluch des Pharao“, die im Hype um die Entdeckung des Grabes des Tutanchamun vor hundert Jahren auftauchten, als Fake News einzuordnen – auch wenn sie sich hartnäckig hielten und phantasievoll formuliert waren. Ausgelöst wurden sie durch den Tod von Lord Carnavon, dem Finanzier der Grabung, der am 5. April 1923 in Kairo an den Folgen einer Blutvergiftung gestorben war, nachdem sich durchs Rasieren ein Mückenstich im Gesicht entzündet hatte.

Fünf Monate zuvor hatte Howard Carter am 4. November 1922 die Stufen zum Grab des bislang weitgehend unbekannten Pharao im „Tal der Könige“ entdeckt, am 26. November dann das Grab mit Lord Carnavon und dessen Tochter erstmals betreten. Der geschäftstüchtige Lord hatte sämtliche Rechte an der Berichterstattung der „Times“ übertragen – so mussten Dutzende von Reportern aus aller Welt, die das Grab monatelang belagerten, andere Themen finden, lebhaft unterstützt von angeblichen Insidern und Augenzeugen, Okkultisten und Wahrsagern.

Ausgelöst wurde das Ganze wahrscheinlich durch ein Zitat aus einem Roman von Marie Corelli, Bestsellerautorin und Okkultistin, das eine New Yorker Zeitschrift veröffentlicht – und auf Tutanchamun bezogen hatte: „Die fürchterliche Bestrafung folgt jedem voreiligen Eindringling eines versiegelten Grabes.“ Auf einem der goldenen Schreine in der Grabkammer sollte zu lesen sein: „Wer dieses geheiligte Grab betritt, den werden de Flügel des Todes treffen.“ Und auf einer Tontafel, die wahlweise im Grabeingang oder zwischen den lebensgroßen hölzernen Wächterfiguren vor der Grabkammer gefunden worden sein sollte, hätte gestanden: „Der Tod wird auf schnellen Schwingen zu demjenigen kommen, der die Ruhe des Pharao stört.“

Durchaus poetisch – aber reine Erfindung. Bei den Texten im Grab, etwa auf den Schreinen oder der berühmten Maske – handelt es sich ausschließlich um Passagen aus der altägyptischen Jenseitsliteratur wie dem Totenbuch oder dem Amduat („Das, was in der Unterwelt ist“). Oder um Namen und Titulatur des Königs, die auf vielen Objekten zu finden sind.

Der Fluch des Meni steht auf einer der beiden Scheintüren des Meni, die beide an der östlichen Außenwand seines Grabes, einer aus Ziegeln errichteten Mastaba, eingelassen waren. Im Bildfeld über der Inschrift stehen Meni und seine Gemahlin im Kreis ihrer Kinder, darunter ist noch einmal sein Name geschrieben. Die Scheintür – besser: Modelltür – markiert den Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Die Figuren in versenktem Relief zeigen schlanke, überlängte Proportionen, wie sie für das späte Alte Reich charakteristisch sind.

Scheintür des Meni© SMÄK, Marianne Franke

Kalkstein
Giza
H. 36,5 cm, Br. 55,0 cm, T. 6,5 cm (Bildfeld)
H. 27,5 cm, Br. 70,2 cm, T. 9,5 cm (Türsturz mit Inschrift)
Altes Reich, 6. Dynastie, um 2200 v. Chr.
München Gl. 24a
Aus der Sammlung Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing

(Ausgestellt im Raum „Jenseitsglaube“)