08.05.2024

Blumen – Hauch des Lebens

Die Stele des Usi

Stele aus hellem Kalkstein, oben abgerundet. Im oberen Bildfeld sitzt rechts der Gott osiris vor einem stehenden Ehepaar, im unteren Bildfeld sitzt das Ehepaar auf der rechten Seite, vor ihnen 4 blumentragende Frauen.© SMÄK, R. Hessing

Die Stele entspricht im Aufbau ihrer Reliefdekoration dem klassischen Schema des Neuen Reiches: In drei Register gegliedert, findet sich oben im halbrunden Giebelfeld die Inschrift mit der Opferformel, darunter stehen im Hauptbildfeld der Stelenstifter Usi und seine Gemahlin Ipui mit Opfergaben vor dem Jenseitsherrscher Osiris, der rechts auf einem Thron sitzt. Im unteren Register schließlich sind die Rollen vertauscht: Hier sitzt das Ehepaar rechts auf Stühlen und nimmt selbst Opfergaben ihrer vier Töchter entgegen.

In der Inschrift werden zwei Jenseitsgötter angesprochen: „Ein Opfer, das der König gibt dem Ptah-Sokar-Osiris, dem großen Gott von Busiris, und Anubis, dem Ersten der Westlichen“. Dargestellt ist jedoch nur Osiris in seiner typischen Erscheinungsform: in Mumiengestalt, in den Händen Krummstab und Wedel haltend, mit Atef-Krone und Götterbart.

Der Text fährt fort: „Er möge geben ein Totenopfer an Brot und Bier, Ochsen und Vögeln, Alabastergefäßen und Kleiderstoffen, Weihrauch und Salböl, und von allen guten Dingen für den Ka des vom vollkommenen Gott Gelobten“.

Unter den Opfergaben werden also neben Nahrungsmitteln ausdrücklich auch Duftstoffe und kosmetische Produkte genannt, die zu kostbaren Luxusgütern gerade der Epoche von Amenophis III. zählen, in der diese Stele entstand, und die oft aus dem Ausland importiert wurden. So tragen auch im unteren Register die ersten drei Mädchen einen Salbkegel auf dem Kopf, der zu Beginn eines Festes auf die Perücke aufgesetzt wurde, um dann – bei den hohen Temperaturen –  allmählich zu schmelzen und dabei Duftstoffe freizusetzen, die in der Salbe enthalten waren. Ein überdimensionaler Salbkegel steht in der Schale unter dem Stuhl der Ipui rechts außen.

Der Rest des Textes nennt Namen und Titel des Ehepaares: „des Standartenträgers des Schiffes „Spitze der Herrlichkeit“, des Obersten der Bogenschützen des  Herrn der beiden Länder (= des Königs) Usi der Gerechtfertigte (…) und seine von ihm geliebte Frau, die Herrin des Hauses, die Sängerin des Amun Ipui (…)“. Sie trägt also den Titel einer Priesterin, und als solche hält sie in der rechten Hand ein Sistrum und in der Linken ein Menit, zwei Rasselinstrumente, die verschiedene kultische Handlungen im Tempel begleiten.

Kein Attribut weist jedoch auf die Stellung Usis als hohem Militär hin. Wie seine Gemahlin ist er in der modischen Kleidung seiner Zeit gewandet, die sich im detaillierten Faltenwurf des Männerschurzes und dem durchsichtigen und fein plissierten Stoff des Frauenkleides zeigt. Dazu passen die raffinierten Frisuren, exquisite Löckchenperücken, die mit feiner Innenzeichnung bis zur Taille der Frauen hinabreichen.

Eine besondere Rolle spielen auf dieser Stele die Blüten und Blumensträuße, die als Gaben überreicht werden: Im oberen Register bringt Usi dem Gott Osiris langstielige Lotosblüten und -knospen dar; eine weitere große Lotosblüte findet sich unter dem Opfertisch mit den hoch aufgetürmten Nahrungsmitteln wie Fleisch, Brote und Gemüse. Vermutlich handelt es sich um ein Gefäß in Gestalt (oder mit der Bemalung) einer Lotosblüte, wie es sie in dieser Zeit aus verschiedensten Materialien, aus Ton, Fayence und Stein, gab, analog zu dem schlanken Gefäß auf der anderen Seite des Opfertisches.

Alle Frauen tragen zudem eine einzelne Blüte als Haarschmuck auf dem Scheitel. Und schließlich halten die Töchter im unteren Register jeweils eine einzelne Blüte in der gesenkten linken Hand und einen kunstvoll gebundenen Blumenstrauß in der erhobenen rechten Hand. Diese Stabsträuße, zu denen die verschiedensten Pflanzen zusammengebunden wurden, gehörten auch zu den unverzichtbaren Opfergaben im Tempel, sie wurden in Prozessionen mitgeführt und zur Dekoration von Altären und Opfertischen verwendet. Die erste in der Reihe der Töchter hält statt der Einzelblüte einen besonders üppigen und vielteiligen Strauß ihrem Vater entgegen, der danach greift und die oberste Blüte an seine Nase hält, um an ihrem Duft zu schnuppern.

Das mag an den Gleichklang der Worte für „Leben“ und „Blumenstrauß“ erinnern, die auf einen gemeinsamen Wortstamm zurückgehen, der „das Gebundene“ bedeutet: „Anch“ ist das altägyptische Wort für „Leben“ wie für „Blumenstrauß“. Die Blüten, Blumen und Sträuße haben also nicht nur dekorative Funktion, sie sind vielmehr auch ein Symbol des Lebens selbst, das die älteste Tochter ihrem Vater mit dem Stabstrauß überreicht: Er riecht an der Blüte und atmet den Hauch des Lebens.

Kalkstein
H. 92, cm, Br. 64,5  cm, T. 8 cm
Memphis
Neues Reich, 18. Dynastie, um 1380 v. Chr.
Inventarnummer ÄS 11
(ausgestellt im Raum „Kunst und Zeit“)