01.06.2021

Altägyptische Heilige

© SMÄK, Marianne Franke

Dem Halbrund des Giebelfeldes dieser kleinen Stele folgen die Schwingen der geflügelten Sonnenscheibe, von denen mittig zwei Uräen nach unten hängen. Im Bildfeld darunter stehen sich zwei männliche Figuren in Schrittstellung gegenüber. Die linke Figur trägt eine kappenartige Kurzhaarfrisur und einen kurzen Schurz mit Tierschweif, in den Händen hält sie das Anch-Zeichen und das Was-Szepter. Die rechte Figur trägt eine gelockte, halblange Haarbeutenperücke sowie ein langes enges Gewand mit darüber gelegtem Mantel. In der vorgestreckten rechten Hand hält sie eine Schreiberpalette und einen Papyrus in der Linken. Beiden gemeinsam ist ein langer gerader Bart.

Zwei senkrechte Inschriftzeilen zwischen den beiden Männern identifizieren sie eindeutig.

Links heißt es: „Imhotep, Sohn des Ptah, schütze dieses Haus!“

Rechts ist zu lesen: „Amenophis-Sohn-des-Hapu, schütze dieses Haus!“

Daraus lässt sich die Funktion der Stele als Altarbild in einem Privathaus ablesen. Die zweizeilige Inschrift unter dem Bildfeld ist nicht mehr zu entziffern.

Bei beiden Personen handelt es sich um historische Persönlichkeiten, wenn auch aus verschiedenen Zeiten. Imhotep lebte in der 3. Dynastie zur Zeit des Königs Djoser (um 2700 v. Chr.) und erbaute dessen Stufenpyramide in Sakkara und damit den ersten monumentalen Steinbau. Außerdem gilt er als Verfasser der ersten, jedoch  nicht im Wortlaut überlieferten  Weisheitslehre. Amenophis-Sohn-des-Hapu lebte in der 18. Dynastie und war der Architekt von Amenophis III. (um 1400 v. Chr.), verantwortlich unter anderem für dessen Tempel und die Aufstellung der monumentalen sog. Memnon-Kolosse in Theben-West.

Aus verschiedenen Epochen stammend, haben sie manches gemeinsam: So genossen sie schon zu Lebzeiten höchste Anerkennung und Privilegien. Der Name von Imhotep findet sich auf einem Statuensockel seines Königs. Amenophis-Sa-Hapu durfte sechs Statuen seiner selbst im Tempel von Karnak aufstellen und erhielt einen eigenen Totentempel in Theben-West. Beide Männer waren die intellektuelle „graue Eminenz“ ihrer Zeit und agierten als eine Art Kultusminister, ohne dass sich diese Funktion als Amt greifen lässt. Sie wurden als Weise verehrt und später sogar vergöttlicht, wobei sie öfters – wie auf dieser kleinen Stele, gemeinsam verehrt wurden. Sie wirkten als Nothelfer und Heilgötter, waren also in einer breiten Bevölkerung populär.

© Dietrich Wildung

Auf der Türleibung des vierten Tores des Ptah-Tempels in Karnak findet sich ein Hymnus an Imhotep, in dem auch sein Kultpartner genannt wird:


„Jubel Dir, Gott mit gnädigem Herzen
Imhotep-Du-Großer, Sohn des Ptah!
Komme zu deinem Haus, zu deinem Tempel in Theben! (…)
Mögest du in ihm Speisen erhalten und Weihrauch riechen,
möge dein Leib sich verjüngen durch die Wasserspende.

Dieser dein Platz, er ist dein bevorzugter Lieblingsplatz,
nützlicher ist er für dich als deine Plätze in anderen Städten.
(…)
Die Männer preisen dich, die Frauen huldigen dir,
und alle ohne Ausnahme feiern deine Erfolge,
denn du heilst sie.


Sie bringen dir ihre Gaben, sie weihen dir ihre Opfer,
sie opfern dir ihre Habe,
damit du dich nährst an den Opferbroten,
damit du trinkst vom Bier zusammen mit deinen Brüdern, den urzeitlichen Göttern.
(…)
Die Weisen preisen Gott für dich,
als Erster von Ihnen dein Bruder, den du liebst, Amenophis, Sohn des Hapu.
Er ist mit dir, er ist nicht fern von dir. (…)

Kalkstein
Theben
H. 27,5 cm, Br. 20 cm
Ptolemäerzeit, 150-100 v. Chr.
Leihgabe
(Ausgestellt im Raum „Religion“)