Wider das Vergessen

Schrift und Text im Alten Ägypten

10.05.2012–13.01.2013

„Kann man das richtig lesen?“ und „Was steht da eigentlich drin?“ sind häufig gestellte Fragen von Museumsbesuchern vor Denkmälern altägyptischer Schrift, und in unserer Umgangssprache wird der Begriff „Hieroglyphen“ oft für eine unverständliche, nicht entzifferbare Handschrift benutzt. Wie das System der Hieroglyphen funktioniert, welche anderen Schriften es parallel gegeben hat, welche Sprachstufen in der mehr als 3000-jährigen Geschichte Ägyptens einander folgten und welche Inhalte die überlieferten Texte haben, diese Fragen beantwortet die neue Ausstellung im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst. Sie gibt zudem den Besuchern die Gelegenheit, teilzuhaben an den Vorbereitungen für die künftige Dauerausstellung im Neubau, der im Juni 2013 eröffnet werden soll: Die Ausstellung ist der Probelauf für das Konzept des künftigen

Zum Auftakt begrüßt die jüngste Neuerwerbung den Besucher, die kleine Statue eines Lesenden, und führt ihn ein in das Büro eines ägyptischen Beamten mit seinen Arbeitsutensilien, Papyrus und Ostraka, Schreibpalette und Tintenfässchen, Siegelring und Stempel. Darüber wachen die Berufsgötter des Schreiberstandes, Thoth und Imhotep, sowie die Göttin Maat, Symbol von Wahrheit und Gerechtigkeit und damit die Personifikation all jener Tugenden, die in den altägyptischen Weisheitslehren von einem loyalen Beamten gefordert werden.

Die Entstehung der Schrift gründet sich in dem Bedürfnis, Informationen über einen längeren Zeitraum sowie über größere Distanzen hinweg verfügbar zu halten; sie hängt daher im spätvorgeschichtlichen Ägypten (um 3100 v. Chr.) eng mit der Entstehung des Staates zusammen. Auf Vorratsgefäßen finden sich die ältesten Schriftzeugnisse, ihre Aussagen gleichen dem Etikett einer Dose oder einer Weinflasche. In der Folgezeit kann dann nahezu jeder Gegenstand zum Schrift- und damit Informationsträger werden, Gegenstände aus dem Alltagsleben tragen ebenso Texte wie die Objekte der Grabausstattung, hinzu kommen die Inschriften auf Stelen, Grab- und Tempelwänden, auf Statuen, auf Papyri und Ostraka (Scherben) – Hieroglyphen überall, und doch geht man lediglich von etwa 10 Prozent der Bevölkerung aus, die Lesen und Schreiben konnte: Es ist eine kleine Oberschicht, die das Bild Altägyptens bis heute prägt.
Die weitere Ausstellung gliedert sich in zwei Teile: Zunächst wird anhand von Reliefs und Monumentalinschriften das Funktionieren der Hieroglyphenschrift erläutert, die mit Bildern geschrieben wurde, ohne eine Bilderschrift zu sein. Anschließend werden die parallel zu den Hieroglyphen verwendeten kursiven Schriften vorgestellt, das Hieratische und Demotische, und schließlich veranschaulichen Denkmäler aus allen Epochen von der Pyramidenzeit bis hinein in die spätantik-christliche Zeit die Abfolge der verschiedenen Sprachstufen bis hin zum Koptischen, das bis heute als Liturgiesprache in der christlichen Kirche Ägyptens in Gebrauch ist.

Dieses Koptische spielte auch in der Geschichte der Entzifferung der Hieroglyphen eine nicht unwichtige Rolle. Ein kleines Intermezzo stellt die entscheidenden Arbeiten auf dem Weg zum Verständnis der Schrift dar sowie ihre Verfasser, allen voran Jean-François Champollion und Richard Lepsius.
Im zweiten Teil werden die Inhalte der überlieferten Schriftdenkmäler vorgestellt, beginnend mit den Texten aus dem Alltagsleben: Briefe, Abrechnungen und Kaufverträge, Beispiele von juristischen Texten wie Gerichtsprotokoll und Erbschaftsvertrag, von biographischen und historischen Texten. Die altägyptische Literatur ist in der Ausstellung in den Gattungen der Weisheitslehren und Liebeslieder vertreten. Darüber hinaus kann sich der Besucher mithilfe einer ausführlichen Audio- Führung mit weiteren literarischen Texten vertraut machen.

Die letzte große Gruppe von Texten bilden die religiösen Texte: Hymnen und Gebete an die Götter, darunter der berühmte „Sonnengesang des Echnaton“, magische Texte mit einem Liebeszauber oder die „Zaubersprüche für Mutter und Kind“. Ein eigener kleiner Raum schließlich ist der Jenseitsliteratur gewidmet, die von den Pyramidentexten des Alten Reiches, dem Totenbuch und Amduat bis hin zum „Buch des Atmens“ als Jenseitsführer den Menschen begleitet hat bei seinem Übergang vom Diesseits zum ewigen Leben. Die Wände von Pyramiden und Felsgräbern, Särge und Mumientücher, Papyri und Uschebti, sie alle tragen Texte, die den Menschen schützen und ihm die Angst nehmen wollten vor der Ungewissheit einer jenseitigen Existenz.

Die Ausstellung zeigt rund 150 Objekte, neben Reliefs mit Inschriften aus dreieinhalb Jahrtausendenden sind dies vor allem Papyri und Ostraka, Objekte der Grabausstattung wie Särge und Stelen, Uschebtis und Kanopen sowie beschriftete Objekte aus dem Alltagsleben. Eine Audioführung ermöglicht dem Besucher das Kennenlernen der altägyptischen Literatur.

Ausstellungsort:
Ägyptisches Museum in der Residenz,
80539 München, Hofgartenstraße 1

Plakat der Ausstellung Wider das Vergessen
Plakat der Ausstellung Wider das Vergessen