18.09.2023

Blütenkelch

Objekt des Monats September 2023

Ein Kelch in Gestalt einer Lotosblüte aus blaugrüner Fayence© SMÄK, M. Franke

Der schlanke, nach oben leicht ausschwingende Körper dieses Gefäßes ahmt die Form eines Blütenkelches nach, dessen einzelne Blütenblätter oben spitz zulaufen. Sie sind in flachem Relief plastisch modelliert. Dabei reichen sie nicht ganz bis zum Gefäßrand, der durch einen schmalen, horizontalen Wulst abgesetzt ist. Diese Abweichung vom Naturvorbild lässt sich auch bei anderes Exemplaren dieser Gefäßgattung beobachten und ist vielleicht ein Hinweis auf eine bestimmte Werkstatt. Der Fuß des Gefäßes setzt wie ein Pflanzenstängel gerade an und schwingt dann zu einer runden Standfläche aus; von unten ist er leicht ausgehöhlt.

Bei der in dauerhaftes Material umgesetzten Pflanze handelt es sich um eine Lotosblüte. In Ägypten waren zwei Arten von Lotos bekannt: der Weiße Lotos (Nymphea lotus) dessen Blüte die Form einer tiefen Schale mit abgerundeten Blütenblättern zeigt, und der Blaute Lotos (Nymphea caerula) mit kelchförmiger Blüte und spitz auslaufenden Blütenblättern. Erst in der Spätzeit kommt als dritte Art der Rote Lotos (Nymphea nelumbo) hinzu. Der hier umgesetzte Blaue Lotos verströmt einen schweren, süßen Duft; er wird in den Malereien und Reliefs der Gräber oft in der Hand von Frauen und Männern gezeigt, die an den Blüten schnuppern. Außerdem zählt er zu den Opfergaben an die Götter.

Die Fayence-Kelche in Gestalt einer Lotosblüte sind erst seit dem Neuen Reich bekannt; sie sind eine Neuschöpfung der ersten Hälfte der 18. Dynastie (ab ca. 1450 v. Chr.). Meist wird der Blaue Lotos als Vorbild herangezogen, doch gibt es auch Beispiele für die Umsetzung des Weißen Lotos in ein Gefäß. In der Entwicklung dieses Types stehen zu Beginn eher niedrige, ausladende Kelchformen, die sich in den Proportionen allmählich zu schlanken, hohen Formen wandeln. Die eleganten Kelche des späten Neuen Reiches werden in der Dritten Zwischenzeit (1080-750 v. Chr.) zu manieristisch wirkenden, überschlanken Formen gesteigert. Dabei rückt das Naturvorbild der Blume in den Hintergrund, die Kelche werden zu Trägern von figürlichen Szenen mit religiösem Hintergrund.

Dem Lotos kommt in Ägypten eine wichtige symbolische Bedeutung zu, zusammen mit dem Papyrus ist er die am häufigsten dargestellte Pflanze überhaupt. Er ist das Sinnbild des Kreislaufs der Sonne und damit ein Symbol des Sonnengottes: Der Blaute Lotos schließt am Abend seine Blüten, um sie mit Sonnenaufgang wieder zu öffnen, entsprechend dem Zyklus des Sonnengottes, der abends eintaucht in das Urgewässer, um morgens regeneriert daraus emporzutauchen. So wird der Lotos nicht nur Symbol des Sonnengottes, sondern darüber hinaus zum zyklischen Ablauf des Lebens selbst. Er steht für Wiedergeburt und Fruchtbarkeit, was der Farbsymbolik von Grün und Türkis entspricht und sich hier auch in der Farbe des Materials wiederfindet.

Die Lotoskelche aus Fayence waren kostbare Trinkgefäße, die am Königshof und in der Oberschicht bei besonderen Anlässen verwendet wurde. Diese Gefäßform erscheint auch in kultischen Zusammenhängen, bei verschiedenen Ritualen, doch sind die Kelche dann aus wertvolleren Materialien, aus Edelmetall, Glas oder Alabaster.

Fayence
H. 15,7 cm, ø 9,2 cm
Neues Reich, 18. Dynastie, um 1400 v. Chr.
Inventarnummer ÄS 1574
(Ausgestellt im Raum „Kunst-Handwerk“)